Ausbrüche wegen Ausbruchs

 

Wer sich einmal die Serie Prison Break zu Gemüte geführt hat, weiss, wie sorgfältig ein Gefängnisausbruch geplant, wie viele Rückschläge, wie viel Unwägbarkeit und menschliches Unvermögen bewältigt werden müssen. Das hatten die vierzehn Insassen wohl nicht auf dem Radar, als sie am 23. März am helllichten Tag aus dem Yakima County Jail in Washington ausbrachen.

Mit mehreren schweren Metalltischen blockierten sie die Tür zum Gefängnispersonal, einen weiteren nutzten sie als Rammbock, um die Feuertüre aufzubrechen. Binnen vier Tagen wurden jedoch alle Flüchtlinge wieder in Haft genommen: Acht von vierzehn wurden kurz nach dem Sprung über den Zaun (vgl. Video) wieder gefasst, die Festnahmen der etwas erfolgreicheren sechs lässt sich im sehr unterhaltsamen Facebook-Feed des Yakima County Sheriff’s Office nachverfolgen. Mein Lieblingsinsasse dieses furiosen Fluchtversuchs ist übrigens Tyrone Mulvaney, der eigentlich nur noch zehn Tage absitzen musste und deshalb am zweiten Tag nach dem Ausbruch der Polizei ein Ultimatum stellte: Wenn ihr mich heute nicht fasst, stelle ich mich am Ende des Tages. Er wurde kurz darauf mit zwei weiteren Kriminellen (die nichts mit dem Ausbruch zu tun hatten, aber einfach sonst gesucht wurden) von der Polizei überführt und sitzt nun wegen des Ausbruchs seine dritte Haftstrafe ab. Während Tyrone sich wohl über sein kolossales Pech Gedanken macht, fragen wir uns, warum dieser Ausbruch überhaupt stattgefunden hat. Wenn es so einfach ist, aus dem Yakima County Jail zu entkommen, warum warteten die Häftlinge bis jetzt?

#Captured One Inmate Captured, Five to go!On March 25, at 9:00 am, US Marshals and deputies responded to the Savoy…

Gepostet von Yakima County Sheriff's Office am Mittwoch, 25. März 2020

 

Grund für den Ausbruch könnte die «stay-at-home order» sein, die kurz zuvor vom Gouverneur im Zusammenhang mit dem Covid-19 erlassen wurde. Ob dies nun wirklich der Auslöser des Fluchtversuchs war, sei dahingestellt, an die Order des Gouverneurs haben sie sich sicherlich nicht gehalten. Dafür hatten sie allenfalls gute Gründe: Dass die Gesundheit hinter Gittern zu Zeiten des Corona nicht mehr garantiert ist, zeigen weltweit verschiedene Ereignisse. Aus Angst vor Ansteckung in den beengten und überfüllten Gefängnissen wurden Rund um die Welt Besuchsrechte beschnitten, um den Kontakt zwischen Insassen und Angehörigen zu unterbrechen. Das führte in Brasilien zu mehreren Revolten und Massenausbrüchen mit geschätzt 1500 Flüchtigen, in Kolumbien starben 23 Personen bei einer Massenpanik und auch in Italien forderten Aufstände in den Gefängnissen mehrere Todesopfer.

Mehrere Staaten reagieren nun mit einer umstrittenen Massnahme und lassen bestimmte Häftlinge vorzeitig frei. In New York wurden bereits 300 Häftlinge mit kleineren, gewaltfreien Delikten entlassen und in naher Zukunft sollen auch Insassen, die zur Risikogruppe gehören und keine Schwerverbrecher sind, von einer frühzeitigen Entlassung profitieren. Ferner sind in Frankreich Entlassungen von mehreren tausend Häftlingen geplant, was allerdings nicht offen kommuniziert wird, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern. In der Schweiz sind bisher keine Freilassungen geplant, obwohl es im Kanton Bern und Genf schon bestätigte Fälle von Corona hinter den Gefängnismauern gibt. Man verfolgt die Strategie, einerseits die Insassen in und zwischen den Gefängnissen zu verteilen, andererseits anstehende Haftstrafen bis auf weiteres aufzuschieben. Ob die Gefangenen Besuch empfangen dürfen unterscheidet sich momentan von Kanton zu Kanton. Im Kanton Waadt sind Besuche beispielsweise untersagt, als Entschädigung dafür  werden jedoch die Portokosten (B-Post) für die persönliche Briefpost übernommen. Dank dieser überaus grosszügigen Geste müssen wir glücklicherweise nicht damit rechnen, dass aufgebrachte Häftlinge mithilfe des erstbesten Metalltischs aus der Strafanstalt Bochuz türmen.

 

 

 

Textquellen:

https://www.facebook.com/TheYakimaSheriff/

https://abcnews.go.com/US/14-inmates-escape-washington-jail-amid-covid-19/story?id=69767853

https://www.theguardian.com/world/2020/mar/17/come-back-monday-ok-hundreds-of-prisoners-escape-in-brazil-amid-covid-19-anger

https://www.srf.ch/news/international/coronavirus-hinter-gittern-wenn-gefaengnisse-zu-tickenden-zeitbomben-werden

https://www.nzz.ch/schweiz/coronavirus-im-gefaengnis-polizei-legt-fokus-auf-schwerkriminelle-ld.1547602?reduced=true

 

 

5 Antworten auf „Ausbrüche wegen Ausbruchs“

  1. Ich habe mich schon gefragt, was für Auswirkungen der Virus auf die Gefängnisse und ihre Insassen hat, aber demnach scheint es mir müssen die Gefangenen ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen, zumindest bei deinem Beispiel. Spannender Beitrag!

  2. Ich frage mich ob nicht bald auch die Insassen auch aus der Strafanstalt in Bochuz türmen, da eine Übernahme der Portokosten. Nicht wirklich gleich zu stellen sind mit einem Persönlichen Kontakt. Mich nimmt auch wunder ob bei Ihnen im Moment die Sehnsucht nach Freiheit etwas beruhigt, da wir ja gerade alle, “gefangen” in unseren vier Wänden sind.

    In Amerika ist das sicher nicht so. In diesen Privatisierten Gefängnissen, ist bestimmt zur Zeit die Hölle Los.
    Des öfteren ist in den Medien zu Beobachten wie die Insassen über die Unmenschlichen Bedingungen dieser Anstalten Klagten. Mit dem Covid-19 wird sich das sicher noch verschlimmern.

  3. Ich hatte mir bis jetzt gar nicht überlegt, was das Virus in Gefängnissen für Massnahmen herbeiruft, ich hörte bis jetzt lediglich vom Besuchsverbot in einigen Strafanstalten.
    Dass die Hygiene nicht wirklich die beste ist und die Ansteckungsgefahr höher, dachte ich mir, ich hoffe jedoch, dass dies verbessert wird. Dass es aber in einigen Ländern zu frühzeitigen Entlassungen kommt, hätte ich nicht gedacht.

  4. Vielen Dank für eure Kommentare! In einem Interview des Tages Anzeigers spricht ein Häftling der Anstalt Pöschwies über die aktuellen Bedingungen. Tatsächlich werden relativ harte Massnahmen zum Schutz der Insassen und Aufseher durchgesetzt. Nach Ansicht des Interviewten bestehen folgende Probleme: Die Massnahmen gelten einerseits mehr für die Häftlinge als für die Aufseher, welche sich erstens nicht daran halten und zweitens prädestiniert sind, das Virus von aussen einzuschleppen. Andererseits sei die Strafe für jegliche Krankheitssymptone (egal ob coronabedingt oder nicht) neuerdings die Isolationshaft, was einer Haft der höchsten Sicherheitsstufe gleichkommt. Die Insassen überlegen sich nun doppelt und dreifach, bei Krankheitssymptomen einen Arzt aufzusuchen.

    Link zum Artikel (leider nur für Abonennten):
    https://www.tagesanzeiger.ch/die-aufseher-sind-die-groesste-gefahr-912318183029

  5. Interessanter Ausbruch

    Bin froh…
    …kann ich jederzeit aus meinem Homeoffice türmen
    …ist meine Wohnung nicht mit Häftlingen überfüllt
    …funktioniert der Justizvollzug in der Schweiz etwas geregelter als etwa in den USA
    …kann ich online mit meinen Liebsten kommunizieren und brauche keine Portospesen zu zahlen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert