Begrenzungs- oder Kündigungsinitiative?

Die Initiative spricht Klartext, sie fordert das Ende der Personenfreizügigkeit mit den EU/EFTA-Staaten. Die bilateralen Verträge hängen am seidenen Faden. Für die einen ein Preis, der in Kauf zu nehmen ist, für andere ein Supergau. Wollen wir den Garant unserer Freiheit und des Wohlstands aufs Spiel setzen?

Sogar alte, weisse Männer haben Angst vor der “Vernichtung von Arbeitsplätzen” hier.

Bilden sie sich immer ihre eigene Meinung und informieren sie sich bei mehreren, seriösen Quellen.

Wer steht hinter der Initiative?

Lanciert hat die Initiative die SVP in Zusammenarbeit mit der parteinahen AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz), eine Organisation die sich gegen jegliche Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU und der UNO ausspricht. Im Vorstand der AUNS sitzen mehrere SVP-Grössen wie Luzi Stamm, Christoph Mörgeli und Oskar Freysinger.

Was will die Begrenzungsinitiative?

Die Begrenzungsinitiative verlangt, dass die Zuwanderung „wieder selbständig gesteuert wird“. Stehen diesem Ziel Verträge im Weg müssen diese neu verhandelt oder gekündigt werden. Durch Annahme der Initiative würde folgende Formulierung in die Verfassung stehen.

1 „Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig“.

2 „Es dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen und keine anderen neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangen werden, welche ausländischen Staatsangehörigen eine Personenfreizügigkeit gewähren.”

hier zum Initiativtext

Bestehende Verträge dürfen nicht im Widerspruch zu Absatz 1 und 2 (oben) angepasst oder erweitert werden. Bestehende Abkommen die den Forderungen nicht gerecht werden müssen innerhalb von zwölf Monaten neu verhandelt werden. Gelingt das nicht, wird das Abkommen vom Bundesrat innert weiterer 30 Tagen gekündigt.

Konkret widerspricht das Personenfreizügigkeitsabkommen der Schweiz mit den EU/EFTA-Staaten der Initiative.

Was ist die Personenfreizügigkeit und was bringt sie der Schweiz?

Die Personenfreizügigkeit ist eines von sieben Abkommen der Schweiz mit der EU, der bilateralen Verträge. Sie stehen unter einer sogenannten Guillotine-Klausel, wird eines der Abkommen gekündigt, werden auch alle anderen innert sechs Monaten für nichtig erklärt.

Information am Rande: 1999 unterzeichnet und 2002 in Kraft getreten, können sich nur wenige Jugendliche ein Leben ohne dieses Abkommen vorstellen.

Durch das Freizügigkeitsabkommen erhalten Staatsangehörige der Schweiz und der EU das Recht, Arbeitsplatz und Wohnsitz innerhalb der Staatsgebiete der Vertragsparteien frei zu wählen. Die persönliche Freiheit wird gestärkt. Egal ob im Bereich der Bildung, Karriere oder im Privatleben. Es gilt das Recht auf Einreise, Aufenthalt und Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit.

Alle Wirtschaftsbranchen der Schweiz sind auf ausländische Mitarbeitende angewiesen. Insbesondere hoch spezialisierte Arbeitskräfte sind gefragt, da der Schweizer Fachkräftemarkt dem eigenen Bedarf nicht gerecht wird. Ein offener und flexibler Arbeitsmarkt ist eine wichtige Voraussetzung für unseren Wohlstand. Weit über eine Million EU-Bürger*innen leben in der Schweiz und leisten ihren Beitrag im Arbeitsmarkt. Die Zuwanderung federt die Überalterung unserer Gesellschaft ab, was in naher Zukunft von hoher Bedeutung sein wird. Das Abkommen erlaubt allen Schweizer Bürger*innen frei zu entscheiden wo sie lernern, arbeiten und wohnen möchten. Etwa eine halbe Million Schweizer*innen leben und arbeiten in den Mitgliedsstaaten der EU.

Was sind die Argumente der Befürworter*innen?

Ein souveräner Staat muss die Einwanderung selbständig regeln können. Trotz Rückgang sei die Zuwanderung noch immer viel zu hoch. Die Schweiz verkraftet das grosse Bevölkerungszuwachs nicht, Stichwort Dichtestress. Mehr Ausländer*innen bedeuten mehr Sozialhilfebezieher*innen. Die Befürworter*innen bringen die Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen in Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit, junge  Ausländer*innen nehmen den Schweizer*innen die Arbeitsplätze weg. Benötigtes und spezialisiertes Fachpersonal sei weiterhin erwünscht, jedoch müsse auch in diesem Bereich ein „Inland-Vorrang“ gelten.

Der Kriminaltourismus werde durch die Personenfreizügigkeit gefördert, die Initiative sei ein Mittel für mehr Sicherheit in der Schweiz.

Die Argumente der Gegner*innen bezeichnet die SVP als Angstmacherei. Sie sind zuversichtlich, dass keine Verträge gefährdet sind. Diese haben auch für die EU grosse Bedeutung.  Albert Rösti, der Präsident der SVP Schweiz, sagte im Interview mit „10vor10“:

„Die EU wird niemals ein Abkommen wie das Landverkehrsabkommen kündigen, mit dem Sie für 300 Franken durch die ganze Schweiz fahren kann und sonst ist das in Kauf zu nehmen.“

hier zum Beitrag von 10vor10

Wer sind die Gegner*innen der Initiative und was befürchten sie?

Alle anderen grossen Parteien der Schweiz (SP, FDP, Grüne, CVP, GLP, BDP und  EVP) stellen sich gegen die Vorlage. Unterstützt werden sie von dutzenden Organisationen und Vereinen. Auch die Gewerkschaften und der Gewerbeverband haben die Nein-Parole beschlossen.

Nicht nur die ausländischen Fachkräfte sind wichtig für unsere Wirtschaft, besonders in der Pflege und im Bau spielen ausländische Arbeitskräfte eine tragende Rolle. Deshalb ist es wichtig diesen Arbeitsnehmenden unbürokratische Arbeitsverträge und Einreisen zu ermöglichen. Ohne die Personenfreizügigkeit fehlen Bald wichtige Arbeitskräfte.

Die Gegner*innen verweisen gerne auf den Brexit, das Vereinigte Königreich versuchte ebenfalls nur die Personenfreizügigkeit kündigen. Die EU lehnte diese Forderung vehement ab und machte klar, alles oder nichts. Ob die EU auf Verhandlungen mit der Schweiz eingehen wird ist unklar. Eine Einigung in zwölf Monaten, was für derartige Angelegenheiten sehr wenig Zeit ist, ist zu bestreiten. Die Chance besteht, dass die Schweiz bei einer Annahme der Initiative die bilateralen Verträge mitsamt ihren Vorteilen opfern müsste. An der Medienkonferenz zur Begrenzungsinitiative erwähnte Bundesrätin Karin Keller-Sutter, dass die Chance besteht auch aus dem Schengen-Dublin-Vertrag zu fallen. Die Schwierigkeiten der Verhandlungen für Rahmenabkommen mit der EU dürfen auch nicht unerwähnt bleiben. Kein Wunder hat die Initiative unter der Gegnerschaft den knallharten Namen Kündigungsinitiative.

Die Vorlage könnte der Wirtschaft verheerenden Schaden zufügen, die EU ist immerhin die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Wir sind auf viele Importe angewiesen und die Schweiz hat umschlossen von EU-Staaten eine isolierte Lage. Nicht umsonst sagt Christian Levrat, der Präsident der SP Schweiz:

„Das ist Selbstmord für ein kleines Land mit acht Millionen Einwohnern, 60% unserer Arbeitsplätze sind vom Export abhängig.“

hier zum Beitrag von 10vor10

Abschliessend bleibt zu betonen, egal ob sinnvoll oder nicht, die Initiative setzt viel auf’s Spiel.

Was raten uns Regierung und Parlament?

Der Bundesrat, Nationalrat und Ständerat lehnen die Initiative mit grosser Mehrheit ab, dies gilt als offizielle Wahl-Empfehlung.

Die eidgenössische Volksabstimmung vom 17. Mai 2020 findet nicht statt.

Auf Grund der ausserordentlichen Lage in Folge des Coronavirus kann die Abstimmung nicht wie geplant durchgeführt werden. Ein Ersatzdatum wurde noch nicht bekannt gegeben.

Dieser seltene Entscheid wurde zuletzt im Jahre 1951 aufgrund der Maul- und Klauenseuche, die die Durchführung der Abstimmung in mehreren Kantonen nicht erlaubte, gefällt.

Bitte geben sie ihre Stimme ab.

Unsere Demokratie lebt von politischer Partizipation.

 

 

Quellen

Informationen:

Stand 24.03.2020                                             https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19994648/index.html#

Stand 25.02.2020       https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/gewerbe-wehrt-sich-gegen-die-vernichtung-von-arbeitsplaetzen/story/29587921

Stand 09.05.2017                                    https://www.economiesuisse.ch/de/artikel/8-fragen-zum-freizuegigkeitsabkommen

https://www.begrenzungsinitiative.ch

https://auns.ch

10vor10 vom 05.01.2018 https://www.srf.ch/news/schweiz/kuendigungsinitiative-svp-startet-mitte-januar-mit-unterschriftensammlung

BR Medienkonferenz vom 11.02.2020                    https://youtu.be/f09O7sHH5FA

 

Bildmaterial:

Stand 25.02.2020       https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/gewerbe-wehrt-sich-gegen-die-vernichtung-von-arbeitsplaetzen/story/29587921

Eine Antwort auf „Begrenzungs- oder Kündigungsinitiative?“

  1. Warum lanciert die SVP eigentlich immer Initiativen, die weit und breit keine Unterstützung in der Parteienlandschaft geniessen? Begrenzt ist in erster Linie der Horizont dieser Partei.

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