Der Französische Ausdruck “Banlieue” kommt aus dem Latein und bedeutet so viel wie “Bannmeile” und steht für die verstädterten Bereiche ausserhalb eines Stadtzentrums.
Das ausgewählte Medium (1) wurde am 29. Oktober 2005 in Clichy-sous-Bois aufgenommen. Die Aufnahme stammt aus den Unruhen in Paris von 2005, und ist ebenfalls eine Inspiration für den 2019 erschienen Film “Les Misérables“. Das Medium stammt zwar aus 2005, jedoch ist die Thematik von Gewaltausbrüchen in der Banlieue immer noch aktuell.
Historische Entwicklung der Pariser Vorstädte
Im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung von Industriebetrieben liess der französische Staat in den 1950er-Jahren Grosswohnsiedlungen (auch “cités” genannt) in den Banlieus der grösseren Städten wie Paris, Lyon und Marseille errichten. Diese Wohnsiedlungen wurden für Industriearbeiter errichtet, und sollten auch die massive Wohnungsnot in städtischen, bereits dicht bewohnten Räumen senken.
Während der Deindustrialisierung in den 1970er-Jahren kam es zu grosser Arbeitslosigkeit, und somit zu einer starken Verarmung in den Pariser Vorstädten. Die “cités” entwickelten sich von “Zentren der Moderne” zu “Orten des sozialen Abstiegs”.
Auch heute besteht der grösste Teil der Menschen, die in den Vorstädten wohnen aus Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern.
Abwertung der Grosswohnsiedlungen seit Beginn der 1970er-Jahre
Die in den 1950er-Jahren entstanden Grosswohnsiedlungen galten erstmals als attraktive Wohngebiete mit komfortabler Ausstattung. Doch schon bald kam es zum Verfall wegen schlechter Bausubstanzen. Es fehlten Versorgungs-, Freizeitmöglichkeiten und eine gute Erschliessung an das ÖV und an den Strassenverkehr.
So wurde die Banlieue vor allem nach der Deindustrialisierung zu einem Ort der Kriminalität, der Armut und des Drogenhandels.
Unruhen in Frankreich 2005
Bei den gewalttätigen Unruhen in Frankreich 2005 (Medium 1) kam es in den Vororten von Paris zu Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und auch zu Zusammenstössen mit der Polizei, nach dem Unfalltod zweier Jugendlicher.
Auslöser für die Gewalt war der Tod zweier Jugendliche, die am 27. Oktober 2005 in Paris auf der Flucht vor der Polizei von Stromschlägen tödlich getroffen wurden und ein weiterer Jugendlicher, der mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
Es kam 20 Nächte in Folge zu öffentlichen Krawallen und Strassenschlachten.
Heutige Situation
Am 17. März 2020 trat in Frankreich aufgrund der Corona-Pandemie das “confinement”, was mit Quarantäne übersetzt werden kann, in Kraft.
"Die Ausgangssperre trifft die Vorstädten von Paris besonders hart" - General Anzeiger, 30.03.20
Durch die verhängte Ausgangssperre gibt es wieder eine aufgeheizte Stimmung in den Pariser Banlieues. Die aktuelle Lage erinnert an die Unruhen von 2005. So fahren auch heute, wie vor 15 Jahren wieder hochgerüstete Polizisten durch die Strassen von Clichy-sous-Bois. Immer wieder müssen brennende Mülleimer gelöscht werden, und die Polizisten werden regelmässig mit Steinen beworfen.
Die Menschen in den sogenannten Problemvierteln sehen die Quarantäne eher als eine Art Hausarrest und fühlen sich eingesperrt. Für Menschen mit einem sehr geringen oder sogar keinem Einkommen, ist die Situation besonders schlimm. Sie haben keine Wohnungen in denen sie die Quarantäne absitzen können.
Das “confinement” scheint diesen Menschen wieder das Gefühl zu geben, vom Rest der Gesellschaft mit Füssen getreten zu werden.
Wie kann es sein, dass die Lage seit 1970 die gleiche ist? Wieso kommt es immer wieder zu Spannungen und Gewaltausbrüchen? Wieso wird nichts dagegen unternommen, bzw. kann man etwas dagegen unternehmen?
Ladj Ly ruft einem mit seinem 2019 erschienen Film “Les Miserables“, die Unruhen von 2005 wieder in Erinnerung . In seinem Film geht es um das Leben in der Banlieue. Er zeigt die alltägliche Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Einwohnern der Problemviertel.
Als die NZZ Ladj Ly fragte ob der französische Präsident den Film gesehen habe antwortete der Regisseur:
"Wir sind mit Macron im Gespräch, er hat uns gebeten, den Film im Elysée-Palast vorzuspielen. Ich habe abgelehnt. Wenn der französische Staatspräsident den Film sehen wolle, dann muss er zu uns kommen, nach Montfermeil" - NZZ, den 08.01.2020
Ich wusste gar nicht, dass die Vorstädte von Paris einmal als ‘’Zentren der Moderne’’ errichtet wurden. Die Grosswohnsiedlungen waren mir immer nur als Ort der Gewalt und Arbeitslosigkeit bekannt. Vieles was dort passiert, wird bei uns nicht gross thematisiert, obwohl sich die Zustände noch immer nicht verbessert haben. Gerade in der aktuellen Situation mit der Ausgangssperre in Frankreich, sollten diese Unruhen ernster genommen werden. Man sollte nicht nur gegen die Unruhen ankämpfen, sondern das Problem und die Ursachen betrachten und dagegen Massnahmen treffen. Deine Fragen, die du dir dazu gestellt hast, wieso die Regierung nichts dagegen unternimmt, finde ich sehr treffend und gehen mir beim Lesen deines Beitrages ebenfalls durch den Kopf.
Guter und informativer Beitrag!
Ich kenne mich mit dem Thema nicht so aus aber der Artikel hat mit einen guten Einblick in die Situation gegeben.
Ich frage mich auch, wieso erst so wenig unternommen wurde obwohl das Problem schon seit 1970 bekannt ist. Mann sollte die Aufstände nicht nur niederschlagen sondern sich auch fragen, wieso es überhaupt soweit kommt und dann eine Lösung suchen. Ich verstehe jedoch nicht ganz wieso die Menschen in den Banlieues das „confinement“ als Schlag der Gesellschaft gegen sich sehen, denn die ganze Bevölkerung muss ja in Quarantäne.
Es ist erstaunlich wie seit den 70ern Kriminalität und Armut in diesen Vororten herrschen. Es scheint als hat die Politik keine Antworten darauf wie man das Problem in diesen Vierteln lösen könnte. Sonst hätten sich die Ausschreitungen von 2005 nicht nach 15 Jahren wiederholt. Vor allem für die Kinder, die dort aufwachsen, muss es schwer sein schon früh gewalttätige Unruhen mitzubekommen.
Es ist wichtig, dass Ladj Ly mit seinem Film versucht die Menschen wieder auf das Problem aufmerksam zu machen. Ich hoffe die Regierung wird Massnahmen ergreifen, welche die Lebensbedingungen verbessern und nicht bis zu den nächsten Unruhen warten.
Die Problematik der Banlieues ist wie im Beitrag erwähnt schon länger im Gespräch. Leider hat sich an der Perspektivlosigkeit deren Bewohner nicht viel geändert. Wer im Banlieue aufwächst hat nur schwer Chancen auf einen Aufstieg in ein besseres leben.
Marseille ist da sogar schlimmer als Paris da gibt es sogar No-go Areale in denen die Polizei erst gar nicht erst agiert. In deinem Beitrag hast du gut aufgezeigt wie es überhaupt zu diesem Schlamassel kam und was momentan mit der Covid-19 Kirse da so los ist. Vor allem diese Leute die bis anhin schon wenig Perspektive hatten werden jetzt noch mehr im Stich gelassen, das kann nur zu Aufständen führen. Da die Gewalt sonst schon hoch war wird dies sicher mit der Momentanen Lage noch ansteigen.