In Zeiten der Coronakrise man spricht von Zusammenhalt, Unterstützung und Abstand. Es gibt aber mehrere Orte auf der Welt, wo diese Worte nichts bedeuten. Viele geschwächte Menschen leben auf engsten Raum zusammen und es ist ihnen nicht möglich, grundsätzliche hygienische Massnahmen einzuhalten. Einer dieser Orte ist das Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
Zu diesem Beitrag und zur Auswahl des Themas hat mich Paiman Samadi inspiriert. Der 26-jährige Afghane hat Wirtschaftswissenschaften studiert und lebt nun seit neun Monaten in einem Zelt in Moria. Er erzählt in einem Artikel von SRF über die Lebensumstände im Camp. Dieser Artikel hat mir die Unterschiede zwischen ihm und mir aufgezeigt. Ich bin nur um die vier bis fünf Jahre jünger als er, lebe aber ein gegensätzliches Leben. Meine Zukunft hält mir alle Türen offen, wohingegen er nicht mal weiss, ob seinen Asylantrag angenommen oder er zurück in die Türkei verfrachtet wird.
Paiman Samadi ist nämlich, wie viele Tausende andere Migranten, von der Türkei auf eine nahegelegene griechische Insel geflüchtet.
Ein Bild von Paiman Samadi findest du hier.
Das Lager in Moria wird in der momentanen Coronakrise abgeschottet und nur noch eine Person pro Familie darf es mit einer polizeilichen Genehmigung verlassen, um Lebensmittel- und andere notwendigen Einkäufe zu erledigen. Soweit bekannt ist, ist das Coronavirus noch nicht ausgebrochen und solange fühlt sich Paiman durch die Ausgangssperre und die Abschottung geschützt. Er erzählt davon, dass sie mittlerweile in ihrer Muttersprache über das Coronavirus informiert wurden, die Hygienemassnahmen jedoch zu wünschen übrig lassen. Sie hätten am Tag nur drei oder vier Stunden Wasser in den Waschräumen, die Toiletten reichten nicht und auch Strom hätten sie keinen. Er fragt sich, wie man sich vor dem Virus schützen könne, wenn sie nicht mal die Möglichkeit haben, sich zu Waschen.
Es zeigt sich an der Krätze, wie verheerend ein Ausbruch des Coronavirus im Lager wäre. Das ist eine Hauterkrankung, die von Milben verursacht wird, denn die Milben graben sich in die Haut und lösen einen starken Juckreiz aus. Die Krankheit ist ansteckend und verbreitet sich schnell durch engen Körperkontakt; da ist ein Flüchtlingscamp, wie jenes in Lesbos, ein wahres Paradies für die Milben. Die Flüchtlinge in Moria werden regelrecht aufgefressen.
Die Krankheit ist heilbar, aber schwer zu bekämpfen: Um das Lager davon zu befreien, müsste man jedes einzelne Zelt und jeden Container säubern.
So, nun stelle man sich vor, jemand hätte das Coronavirus … Es würde sich durch die Enge und die hygienischen Umstände wie ein Lauffeuer verbreiten. Dazu kommt, dass viele Kinder Virusinfekte, Magen-Darm- und Atemwegserkrankungen haben. Es gibt aus diversen Gründen immer weniger Helfer und Ärzte, die Behörden haben zu und der Eintritt in das Camp ist nur noch für fest angestellte Mitarbeiter gestattet. Die Bewohner sind mehr und mehr auf sich alleine gestellt. Viele der Krankheiten sind hygienisch bedingt und die im Lager lebenden Menschen sind geschwächt.
Wenn nun also das Coronavirus ausbricht, ist eine Katastrophe garantiert. Um bessere Umstände zu schaffen, müsste man die Flüchtenden auf das Festland umverteilen. Vor allem Kinder, Familien und kranke Menschen. Diese Forderung hat die EU gestellt, aber die griechische Regierung lehnt sie ab und setzt auf die Abschottung. Die Regierung beharrt darauf, die Menschen währen ihres Asylverfahrens unter den unmenschlichen Bedingungen auf den Inseln zu halten. Würde nämlich ein Asylgesuch abgelehnt, könnte Griechenland – im Rahmen des EU-Türkei-Deals – die Flüchtlinge nur zurück in die Türkei schicken, wenn sie sich bis dahin auf den Inseln befinden.
Auch wenn sich Paiman momentan sicher fühlt ist die Abschottung keine Lösung. Es gibt noch keinen bestätigten Corona-Fall, es werden aber, bis auf Temperaturmessungen bei Neuankömmlingen, auch keine systematischen Tests durchgeführt. Und alleine die Messung der Temperatur ist nicht sicher, denn: Auf den fünf griechischen Inseln Lesbos, Samos, Leros, Chios und Kos und deren Erstaufnahmelagern leben momentan nämlich 40’703 Flüchtlinge auf einem Raum, der für 8896 Menschen ausgelegt wurde.
Paiman Samadi / SRF 1 / SRF 2 / SRF 3 / SRF 4 / Handelsblatt / Krätze
Stand: 29. März 2020
Guter Einblick, Danke.
Dieses Problem ist ein gesellschaftliches, daher muss auch die Gesellschaft eine Lösung finden. Es kann nicht sein, das ein oder wenige Länder aufgefordert werden, das Problem für uns alle zu lösen. Da müssen schon alle anpacken. Umso tragischer, das dieses Thema in der momentanen Situation unterzugehen droht, wo man, wie gesagt, von Solidarität spricht.
Da hast du vollkommen Recht. Es gibt momentan auch Aufstände unter den Einheimischen, weil sie sich von der EU im Stich gelassen fühlen. Dies spitzt die ganze Situation leider nochmals zusätzlich zu.
Solche Einblicke öffnen einem immer wieder die Augen und die eigenen Probleme sind plötzlich unwichtig. Wir werden gezwungen zu Hause zu bleiben – was voraussetzt, dass wir überhaupt ein Zuhause und eine funktionierende Infrasturktur besitzen. Wir können uns darüber wirklich so glücklich schätzen und haben kein Recht, uns über die aktuelle Situation zu beklagen, wenn man solche Menschen wie Paiman Samadi berichten hört.
Seit beginn der Corona Krise ist mir wieder so richtig bewusst geworden wie gut das es uns geht in der Schweiz. So oft verlieren wir uns, in unseren kleinen Sorgen. Doch wenn man sein Horizon öffnet, so wie es Carol getan hat, sieht man die kolossalen Probleme der ärmeren Länder und deren der Menschen in Randgruppen. Leider sind die Bedingungen nicht nur in den Flüchtlingscamps so schlimm, es gibt noch unzählige weitere Orte in denen Menschen in ähnlichen Umständen leben.
Wie carinaschmid in ihrem Kommentar schon geschrieben hat, müssen meiner Meinung nach, nun die scheinbar unbetroffenen Länder zusammenhalten und denn Geschwächten helfen.
Danke, ich muss aber gestehen, dass auch ich meinen Horizont vor allem des Unterrichtes wegen erweitert habe. Ansonsten setzte ich mich vor allem für Tiere ein und die Recherche hat mir geholfen eine andere Sichtweise zu sehen.
Ich stimme euch beiden – Lea und Benz – also vollends zu, dass wir uns unglaublich glücklich schätzen können und uns für andere einsetzen sollen.
In einer Sache stimme ich zu, dass die Hygiene in den Lagern besser sein dürfte. Doch wenn wir darauf achten, dass wir keinen Virus da reintragen, uns also im Moment besser fern halten, dann sollte es dort sicher sein. Ausserdem ist es ja nicht wirklich ein gefährlicher, starker Virus. Und da die Flüchtlingle wohl nicht geimpft sind, so dürfte jede tödliche Krankheit eine Gefahr für sie sein. Und deshalb muss man ihnen helfen. Ich denke dazu sollten alle Staaten in der Lage sein. Hoffen wir für die Leute im Lager, dass sie bald hygienischer und gesünder dort leben können.
Und auch wir sollten besser gesund bleiben, wo es doch für uns tatsächlich so einfach sein könnte. 🙂
Das Flüchtlingslager in Moria ist wahrhaftig ein Schandfleck und zugleich ein Mahnmal für die gescheiterte Flüchtlingspolitik in Europa. Die für 3000 Personen konzipierte Einrichtung beherbergt momentan etwa 20000 Flüchtlinge. Der Grund dieser Misere ist die Unfähigkeit der EU, die rund 50000 Flüchtlinge auf den Griechischen Inseln auf die anderen EU-Staaten umzuverteilen. Die Menschen in Moria leben tatsächlich unter extrem risikoreichen Bedingungen auf engstem Raum eingepfercht und ohne ausreichende Hygiene. Angesichts der Corona-Pandemie wäre es wichtig, kleinere Einheiten für circa 500 Flüchtlinge zu schaffen. Das heisst, zusätzliches Land anzumieten und mit Zelten in ausreichendem Abstand zu bestücken. Dafür könnte man sicher Geld aus den Taschen korrupter griechischer Beamter fischen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, die Bevölkerung auf Lesbos für eine solche Idee zu gewinnen, wenn man an die zunehmende Anzahl von Zusammenstössen zwischen den Griechen auf den Inseln und der Polizei denkt.
Wichtiger und erschreckender Einblick in die Flüchtlingspolitik in Griechenland. Einerseits verstehe ich den Wunsch der griechischen Regierung auf Abschottung zu setzen jedoch bringt eine Abschottung unter den von dir sehr gut beschriebenen Umständen rein gar nichts.
Man müsste eine Lösung finden, die riesigen Flüchtlingsgruppen in kleinere überschaubare Trupps aufzuteilenteilen und dann für genügend Platz und Abstand zu sorgen. Mitnichten eine leichte Aufgabe!