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Brexit Stand Ende Dezember 2020


Vorteile für die EU


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Die These dieses Aufsatzes ist es, dass der Brexit weder für das VK noch für die EU Vorteile bringt. Es ist zwar nicht auszuschliessen, aber sehr unwahrscheinlich, dass der Brexit für die EU ökonomische Vorteile bringen könnte - aber wie schon auf Seite 1 gezeigt, sind die Vorteile auch auf Seiten der EU vermutlich höchstens scheinbare Vorteile. Gleichwohl ist es nicht undenkbar, dass die EU ohne VK quasi durchstartet, Projekte in Angriff nimmt, die die Briten blockiert hatten etc., aber dies ist eher unwahrscheinlich. Der Brexit mag für die EU Vorteile haben, wenn, dann sind diese zur Zeit aber kaum abschätzbar.


Nachteile für die EU


Die Nachteile des Brexit für die EU fallen vermutlich kleiner aus als für das VK, da sich für die EU viel weniger ändert - und der EU Binnenmarkt wenig erstaunlich den teilnehmenden Staaten vor allem Vorteile bietet. Gleichwohl war die EU stets gegen den Brexit, hat ihn stets zu verhindern versucht und hat jetzt Hand geboten, dass das VK weiter sehr nah an die EU gebunden bleibt. Ziel der EU ist es wohl, dass das VK ähnlich wie Norwegen oder die Schweiz zwar nicht Teil der EU ist, aber faktisch doch sehr stark mit ihr kooperiert. Dies insbesondere, weil das VK die zweitgrösste Wirtschaft der EU gewesen ist (nach Deutschland und in etwa gleich wie Frankreich). Doch was bedeutet dieser Verlust konkret?



Verlust an Grösse


Das VK umfasst heute gut 65 Millionen Einwohner (EU ohne VK 450 Mio). Es ist die 5. bis 6. grösste Wirtschaft der Welt, erwirtschaftete rund 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU, ist ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der UNO, ist Atommacht und in vielen Bereichen, insbesondere in der Finanzwirtschaft weltweit führend. Es ist klar, dass mit dem Brexit die Bedeutung der EU weltweit abnehmen wird. Die EU hat deshalb ein grosses Interesse, die Briten möglichst nah an sich zu binden, um diesen Verlust so klein als möglich zu gestalten.



Verlust an Geld


Zahlungen der Briten

Brexit Befürworter betonen gerne, dass die EU mit dem Austritt des VK viel Geld verliert - z.B. die auf Seite 2 erwähnten angeblichen 350 Millionen wöchentlich. Wie an jener Stelle ausgeführt wurde, spart die EU nun aber auch Kosten ein wie z.B. Subventionen. Zudem zeichnet sich ab, dass nicht wenige Firmen zumindest Tochterfirmen in der EU gründen, wenn sie nicht ganz auf den Kontinent wechseln. Vor allem bei der Finanzindustrie ist es im Moment noch unklar, ob und wie sehr die EU z.B. durch einen Umzug von Firmen wird profitieren können. Für diese wird der Zugang zur EU erschwert, bislang haben aber nur wenige Firmen London in Richtung EU verlassen.

Die EU hat aber mit dem Wegfall der Briten auf jeden Fall weniger Geld zur Verfügung. Doch wieviel ist das eigentlich?
Zieht man sämtliche Vergünstigungen und Subventionen ab, zahlte das VK realistischerweise netto gut 100 Millionen Pfund pro Woche an die EU (nicht 350 Millionen). In einem Jahr also rund 5.5 Milliarden Pfund. Teilt man diesen Betrag durch die nun noch 450 Millionen Einwohner der EU, muss also jeder EU-Bürger und jede EU-Bürgerin (inkl. Kinder, Rentnern etc.) 12 Pfund mehr zahlen als zuvor. Respektive muss die EU diesen Betrag einsparen. Vergleicht man diesen Betrag mit den zusätzlichen Kosten, die den Briten mit dem Brexit entstehen (vgl. Seite 2), relativiert sich das Problem doch deutlich.

Wirtschaftlicher Verlust

Der wirtschaftliche Verlust für EU-Unternehmen ist nur schwer zu beziffern. Durch das nun ausgehandelte Freihandelsabkommen können diese Unternehmen weiterhin zollfrei ins VK exportieren. Es wird aber auch für sie mehr Bürokratie anfallen. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass z.B. europäische Autofirmen wegen der neuen Handelsbeschränkungen deutlich weniger Autos im VK verkaufen werden. Es könnte sogar sein, dass wegen der durch den Brexit komplizierteren Just-in-time Fertigung Firmen die Herstellung neuer Modelle vom VK in die EU verlagern könnten. Auch in Bezug auf die Finanzindustrie ist zurzeit völlig unklar, wie sich die Situation entwickeln wird. Vielleicht gelingt es dem VK durch eine aggressive Steuerpolitik Unternehmen anzulocken, vielleicht verschieben viele Firmen ihren Sitz in die EU. Ob der Brexit sich für die EU wirtschaftlich lohnen wird oder nicht ist unklar, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Schäden auch für die EU deutlich grösser sind.


Schwer zu beurteilende Folgen für die EU


Mit dem Austritt des VK wird sich für die EU noch Weiteres ändern, dessen Folgen unklar ist. Insbesondere wird sich die Machtbalance in der EU verändern. Es ist möglich, dass es ohne das VK zu einer stärkeren Integration der EU kommt - aber auch, dass sich die EU Staaten weiter auseinanderleben. Es wird neue Koalitionen geben, die Machtverhältnisse werden sich verändern, wie das genau zu bewerten ist, ist heute kaum zu erahnen. Die EU wird nach dem Austritt des VK eine andere sein. Es ist gut möglich, dass man diesen Moment als einen Wendepunkt erkennen wird, aber nicht mal das ist klar. Denn vielleicht wird sich auch fast nichts verändern.



Fazit


Ich kann es nicht leugnen: für mich war und ist der Brexit eine Schnapsidee, die weder für die EU noch für das VK wirkliche Vorteile bringt. Mit dem nun geschlossenen Abkommen haben das VK und die EU den Schaden minimieren können, wobei sich in meinem Verständnis vor allem die EU hat durchsetzen können.

Das VK kann nun eigene Handelsabkommen schliessen (die wohl selten besser sein werden als jene, die die EU abgeschlossen hatte), es muss den Europäischen Gerichtshof nicht mehr anerkennen, es muss der EU kein Geld mehr zahlen, die Personenfreizügigkeit wurde abgeschafft und das VK darf nun in mehr Bereichen eigene Regeln erstellen als zuvor. Es hat in gewissen Bereichen an Souveränität gewonnen, wird nun aber auch zu einem Spielball der Weltmächte, was es auch wieder Souveränität kosten wird.

Diesen Vorteilen, die meiner Ansicht nach grösstenteils nur scheinbare Vorteile sind (vgl. vor allem Teil 1), stehen gravierende Nachteile gegenüber wie ich in diesem Aufsatz zu zeigen versucht habe. Wenigen Vorteilen, stehen also gewaltige Nachteile entgegen. Anders sieht es wohl für die EU aus: für sie ergeben sich voraussichtlich keine oder fast keine Vorteile, aber auch die Nachteile scheinen deutlich geringer auszufallen als jene für das VK. Insbesondere, wenn dieses Abkommen tatsächlich von beiden Seiten ratifiziert werden sollte, was zum Zeitpunkt als dieser Text geschrieben wurde (26.-28. Dezember 2020) noch nicht geschehen ist.



Quellen


Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Brexit und kann nicht für alle hier angegebenen Informationen Quellenangaben liefern. Fehler sind deshalb nicht ausgeschlossen, ich garantiere aber, dass ich den Text nach bestem Wissen und Gewissen verfasst habe. Für den Bereich des Freihandelsabkommen dient als Grundlage diese offizielle Zusammenfassung der EU: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/eu-uk_trade_and_cooperation_agreement-a_new_relationship_with_big_changes-brochure.pdf

Eine Kurzfassung der wichtigsten Veränderungen per 1.1.2021 (pdf)

Die drei Titelfotos der drei Seiten stammen vom Wochenende vom 30. März auf den 1. April 2017 als der Brexit nach Plan hätte stattfinden sollen. Sie wurden von Martin Rey in London aufgenommen.