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Let's make history greyt again


Brexit Stand Ende Dezember 2020

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"Wenn Europa die Erde ist, dann ist Grossbritannien der Mond". So äusserte sich der irische Vizepremier Leo Varadkar zum am 24. Dezember 2020 verkündeten Freihandelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich (künftig kurz: VK) und der Europäischen Union (künftig kurz: EU).

Auf der anderen Seite sah man einen jubelnden Boris Johnson, Premierminister vom VK, der lautstark verkündete, dass er nun den Brexit geliefert habe, den er immer versprochen habe. Bei Fragen zu Details des Abkommens wurde er aber schnell kleinlaut und auch die von ihm besonders umgarnten Fischer schienen nicht allzu grosse Freude zu zeigen.

Klar ist, dass ein No Deal Brexit zumindest kurzfristig verhindert werden konnte. Das nun geschlossene Freihandelsabkommen muss zwar noch durch die jeweiligen Parlamente ratifiziert ("gültig gemacht") werden und könnte immer noch scheitern, es ist aber davon auszugehen, dass es in wenigen Wochen definitiv in Kraft tritt. Provisorisch wird es ab dem 1. Januar 2021 Gültigkeit erlangen. Doch was bedeutet das nun genau für die beiden Parteien?



Rückblick Austrittsvertrag

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Schon Ende 2019 hatte Boris Johnson, Premierminister des VKs gejubelt. Anders als seine glücklose Vorgängerin Theresa May war es ihm gelungen, einen Austrittsvertrag mit der EU abzuschliessen und damit den Austritt des VKs per 31. Januar 2020 zu vollziehen. In diesem Vertrag wurde unter anderem geregelt, was mit EU Bürgern passiert, die bereits im VK leben (respektive mit Briten, die in der EU leben); wie das VK seine Schulden bei der EU noch begleicht; und besonders wichtig: wie die künftige Grenze zwischen VK und Irland gestaltet werden soll. Bis auf letzteren Punkt übernahm Johnson grösstenteils den von Theresa May ausgehandelten Vertrag, für die Grenze zu Irland allerdings kam er der EU sehr weit entgegen: denn diese soll nicht an der Grenze zwischen Nordirland und Irland zu liegen kommen, sondern in der irischen See zwischen Grossbritannien und Nordirland. Also faktisch mitten im VK (vgl. Karte).

Das bedeutet konkret, dass Waren aus der EU ohne Kontrolle ins zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland gebracht werden dürfen. Für Waren, die von der Insel Grossbritannien nach Nordirland transportiert werden, muss das VK die EU-Grenzkontrolle sicherstellen. Waren, die via Nordirland nach Irland gelangen, müssen in britischen Häfen vor dem Transport nach Nordirland kontrolliert werden, um sicherzustellen, dass sie den EU Kriterien genügen. Unklar ist mir, was mit Waren geschieht, die in Nordirland bleiben
- denn hier muss ebenfalls sichergestellt werden, dass diese nicht zu einem späteren Zeitpunkt doch noch in die EU gelangen.

Wer jetzt Mühe hat mit den verschiedenen Gebietsbezeichnungen vergleiche die Karte oder dieses Beispiel: es wäre in etwa so als ob die EU ohne Kontrolle Waren in den Kanton Schaffhausen liefern dürfte, die Grenzkontrolle dann bei der Überquerung des Rheins stattfinden würde, also mitten in der Schweiz. Umgekehrt müsste die Schweiz am Rhein sicherstellen, dass Produkte, die via Schaffhausen nach Deutschland gelangen am Rhein kontrolliert würden. Für Waren, die in Schaffhausen blieben, würden andere Regeln gelten als für Waren, die - ohne weitere Kontrollen - nach Deutschland gelangten. Zudem müssten meinem Verständnis nach Waren, die in Schaffhausen produziert werden und in die EU exportiert werden EU Regeln gehorchen und nicht Schweizer Regeln. Würden sie in die Schweiz exportiert, würden aber natürlich Schweizer Regeln gelten…

Ehrlich gesagt ist es mir völlig schleierhaft wie das konkret funktionieren soll. Klar ist aber, dass Johnson einer Teilung des VKs zugestimmt hat. Hintergrund dazu ist der Nordirlandkonflikt, der beim Einrichten von Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland wieder auszubrechen droht (vgl.
hier). Auch haben die USA bereits klar gemacht, dass es zwischen den USA und dem VK keinen Handelsvertrag geben wird, wenn eine Grenze zwischen Irland und Nordirland entstehen sollte.



Freihandelsabkommen 2020

Die Deadline


Kurz vor Weihnachten 2020 stauten sich mehrere tausend Lastwagen vor dem wichtigsten englischen Hafen in Dover. Frankreich hatte wegen einer Coronavirus-Mutation im VK seine Grenzen geschlossen, das VK war isoliert. Wenige Tage später wurde ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem VK abgeschlossen, um das es im Folgenden gehen soll.

Bis zum 31. Dezember 2020 war das VK zwar offiziell nicht mehr Teil der EU, hielt sich aber weiterhin an deren Regeln, zahlte seinen Beitrag und konnte noch alle Vorteile der EU "geniessen". Ab dem 1.1. 2021 drohte ein vertragsloser Zustand, der wohl durchaus vergleichbar chaotische Zustände zur Folge gehabt hätte wie die französische Grenzsperre.

Für das VK gab es zum Zeitpunkt der Grenzsperre drei Möglichkeiten:
  • eine Verlängerung der Übergangsfrist, wo sich das VK weiter an die EU Regeln hätte halten müssen (lehnte das VK ab)
  • der No Deal Brexit (wurde vom VK angedroht, wäre aber für das VK viel schlimmer als für die EU gewesen, wie insbesondere die Grenzsperre gezeigt hat)
  • das Abschliessen eines Freihandelsabkommen bis zum 24. Dezember 2020.

Und Letzteres geschah dann auch. Auch wenn die Briten den Anschein erweckten, dass die EU letztlich eingeknickt sei, deuteten alleine die Umstände darauf hin, dass es genau umgekehrt gewesen ist. Was waren die wichtigsten Punkte?

Der Binnenmarkt

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Der sicherlich wichtigste Punkt war, dass das VK ab dem 1.1.2021 aus dem EU-Binnenmarkt austritt. Damit muss es ab diesem Datum keine Beiträge mehr an die EU zahlen, sich nicht weiter an die vier Grundfreiheiten halten (vgl. Bild) und ist nicht mehr dem Europäischen Gerichtshof unterworfen. Gleichwohl behält es den Zugang zum Binnenmarkt, was von Vertretern des Brexits als grosser Erfolg gefeiert wurde. Doch was bedeutet das alles genau?

Teilnahme am Binnenmarkt


Auf der Welt existieren über 150 Binnenmärkte. Im Prinzip ist jeder Staat auch ein Binnenmarkt - mit wenigen Ausnahmen. In Europa beispielsweise haben sich 27 Staaten zusammengeschlossen und bilden zusammen den EU-Binnenmarkt. Das bedeutet, dass in wirtschaftlicher Hinsicht 27 EU-Staaten vergleichbar funktionieren wie der Binnenmarkt eines einzelnen Staates.

Konkret bedeutet das, dass ein Unternehmer seine Ware (z.B. ein T-Shirt) überall im Binnenmarkt herstellen oder verkaufen darf, dass er auch Läden in anderen Ortschaften des Binnenmarkts errichten darf etc. Sobald er aber die Grenze des Binnenmarkts überschreitet, gibt es Kontrollen, muss er sich an die Regeln des nachbarschaftlichen Binnenmarkts halten. Im Prinzip genau gleich wie es für Menschen ist, die eine Grenze überschreiten.

Im EU-Binnenmarkt gibt es also (zumindest theoretisch) keine Grenzen mehr für den Austausch von Waren, für die Möglichkeit sich woanders niederzulassen oder Dienstleistungen anzubieten.

Um von diesem Komfort profitieren zu können, muss je nach Wirtschaftsleistung des Staates ein finanzieller Beitrag geleistet werden, jeder Staat, der am Binnenmarkt teilnimmt muss zudem die vier Grundfreiheiten respektieren und den Europäischen Gerichtshof EuGh als oberstes Gericht für Fragen des Binnenmarkts akzeptieren.

Zugang zum Binnenmarkt

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Das VK verlässt nun also per 1.1.2021 den EU Binnenmarkt und bildet wieder alleine einen Binnenmarkt. Es behält aber natürlich Zugang zum EU Binnenmarkt - wie alle Staaten dieser Welt, vielleicht ohne Nordkorea, Iran und weiterer Staaten, gegen die Sanktionen verhängt wurden.

Denn Zugang zum Binnenmarkt bedeutet nur, dass man das Recht hat mit diesem Staat oder Binnenmarkt Handel zu treiben. Ohne spezielle Abkommen gelten dann die Regeln der World Trade Organisation WTO, der Welt Handelsorganisation.

Ganz ohne Abkommen würde aber faktisch gar nichts mehr funktionieren. So muss nur schon geklärt sein, ob ein Lastwagenfahrer im anderen Binnenmarkt noch arbeiten darf, ob der Lastwagen die Kriterien des benachbarten Binnenmarkts einhält etc. Ganz ohne Abkommen zwischen zwei Binnenmärkten müssten meines Wissens Fahrer und Lastwagen ausgetauscht und alle transportierten Waren kontrolliert werden. Doch auch mit rudimentären Abkommen müssen alle Waren verzollt werden, gibt es strenge Visumsregeln etc. So hat auch die EU Anfang Dezember 2020 einen Notfallplan erlassen für den Fall, dass das Freihandelsabkommen mit dem VK nicht zustande gekommen wäre: so sollte sichergestellt werden, dass überhaupt noch Flugzeuge zwischen der EU und dem VK hätten fliegen dürfen, dass Handel und Personenverkehr zumindest für 6 Monate noch hätten stattfinden können. Mit dem nun ausgehandelten Freihandelsabkommen fällt dies weg, da nun kein grösstenteils vertragsloser Zustand droht.

Mit dem nun ausgehandelten Abkommen wird das VK einen privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten: es wird keine Kontingente und keine Zölle geben, das heisst, das VK kann uneingeschränkt (aber mit Kontrollen) Waren in die EU exportieren. Dies gilt aber umgekehrt auch für die EU im VK. Und da die EU viel mehr Waren ins VK exportiert als jenes in die EU, ist dieser Aspekt vor allem ein Vorteil für die EU.

Vorteile für das VK aus Sicht der Brexit-Befürworter


Allgemeines

Boris Johnson verkündete stolz, dass er "geliefert habe", was er versprochen habe: das VK habe seine Souveränität zurückerlangt, müsse den Europäischen Gerichtshof nicht mehr anerkennen und die Personenfreizügigkeit sei nun beendet. Diese Punkte haben allerdings nichts mit dem hier behandelten Abkommen zu tun, sondern schlicht damit, dass das VK nicht mehr Teil vom Binnenmarkt ist. Der Erfolg wäre der gleiche gewesen bei einem Brexit ohne Vertrag. Einzig bei der Übernahme von EU-Regeln konnte Johnson einen kleinen Erfolg verbuchen. Doch wie weiter unten gezeigt wird, ist auch dies nur ein Scheinerfolg (vgl. weiter unten den Abschnitt "Eigene Regeln bestimmen - keine automatische Rechtsübernahme").

Souveränität


Das wichtigste Motiv für den Brexit war das Wiedererlangen von "Souveränität". Die Befürworter des Brexit wollten sich nicht mehr weiter einer EU unterordnen, sondern als ehemaliges Empire seine Regeln selbst bestimmen. In gewissen Bereichen wird das mit dem Brexit gelingen, insgesamt stellt sich aber die Frage, ob ein Land in der heutigen globalisierten Welt seinen Wohlstand bewahren kann, wenn es die eigene Souveränität über alles stellt. Im Folgenden sollen die wichtigsten Punkte dargestellt werden, die die Souveränität betreffen. Ich werde aber jeweils auch gleich auf die Nachteile hinweisen, die sich daraus ergeben.


Eigene Freihandelsverträge

Freihandelsverträge vereinfachen den Handel zwischen Staaten. Staaten sind in der Regel mehr daran interessiert, Waren und Dienstleistungen zu exportieren als diese zu importieren. Um wichtige Wirtschaftszweige wie beispielsweise die Landwirtschaft zu schützen, werden deshalb unter anderem Zölle erhoben. Damit haben die eigenen Landwirte einen Vorteil - da Landwirte aus anderen Ländern Zölle zahlen müssen, um in dieses Land zu exportieren.

Verschiedene Staaten haben nun unterschiedliche Stärken und Schwächen. So stellt ein Land vielleicht viele Autos her und will diese möglichst exportieren, ein anderes Land ist stark bei der Herstellung von Uhren. Beide Länder haben also ein Interesse daran, Waren zu handeln und jene Industrie zu schützen, welche für sie besonders wichtig ist. In einem Freihandelsabkommen versuchen die beteiligten Staaten Regeln festzulegen wie sie diesen Handel jeweils für ihr Land besonders effizient gestalten können. So wird z.B. festgelegt, dass für bestimmte Produkte Zölle wegfallen oder werden gemeinsame Qualitätsstandards beschlossen etc. Ziel ist es, den Handel zwischen den Staaten zu intensivieren.

Freihandelsverträge betreffen den EU-Binnenmarkt und werden deshalb innerhalb der EU ausschliesslich von dieser verhandelt. Das VK durfte also als Mitglied der EU keine eigenen Freihandelsverträge abschliessen. Ab 1.1.2021 ist dies nun erlaubt.


Aber…

Die EU hat über 70 Freihandelsverträge abgeschlossen. Mit dem 1.1.2021 verliert das VK sämtliche dieser Verträge. Es konnte zwar einige neue Verträge abschliessen, die meisten aber mit ökonomisch unwichtigen Staaten. Wichtigste Ausnahmen sind die Schweiz und Japan, dort wurden mehr oder weniger die bestehenden EU-Verträge übernommen. Einen Vorteil hat sich für das VK daraus noch nicht ergeben.

Dies ist wenig erstaunlich, da bei Freihandelsabkommen Grösse ein wichtiger Vorteil ist. Zudem wissen alle Staaten, dass das VK dringend auf Handelsverträge angewiesen ist und sich deshalb in einer schwachen Verhandlungsposition befindet. Es ist auch fraglich, ob die EU es akzeptieren würde, wenn ein Staat dem VK ein deutlich besseres Abkommen ermöglichen würde oder ob die EU in diesem Fall nicht Nachverhandlungen fordern würde.

Das VK möchte vor allem mit ehemaligen Kolonien Handel treiben, die meisten von diesen haben aber bislang wenig Interesse gezeigt, liegen geographisch meist weit weg und sind ökonomisch schwach. Ausnahmen sind z.B. Indien oder Kanada, welche aber um ihr Verhandlungsgewicht wissen und dem VK nichts schenken werden.

Ende der Personenfreizügigkeit

Einer der ganz wichtigen Punkte für die Befürworter des Brexit ist das Ende der Personenfreizügigkeit. Diese ist elementarer Bestandteil des EU Binnenmarkts. Wer am Binnenmarkt teilnehmen will, muss die Personenfreizügigkeit akzeptieren, muss also Menschen aus anderen EU Staaten das Recht gewähren, sich im eigenen Land niederzulassen, sofern gewisse Bedingungen erfüllt sein: Die Person muss z.B. einen gültigen Arbeitsvertrag oder genügend Geld haben, um ihren Lebensunterhalt selbst bestimmen zu können.

Aufgrund der Personenfreizügigkeit sind vor allem viele Polen ins VK ausgewandert und haben dort handwerkliche Jobs übernommen oder Arbeiten im Tieflohnbereich. Oft hörte man den Vorwurf, dass diese "Ausländer" den "eigenen" Leuten die Jobs wegnehmen, aber auch mit allgemein fremdenfeindlichen Argumenten wurde gegen die Personenfreizügigkeit Stimmung gemacht.

Mit dem Austritt aus der EU und dem EU-Binnenmarkt endet die Personenfreizügigkeit mit dem 1.1.2021. Grundsätzlich kann das VK nun selber entscheiden, wer ins Land gelassen wird, um im VK zu arbeiten - zuvor war es ein Automatismus, wenn die Bestimmungen für die Personenfreizügigkeit erfüllt waren.

Aber…

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Aus Wirtschaftskreisen hört man immer wieder, dass es ohne Personenfreizügigkeit aufwendiger ist, qualifiziertes Personal zu finden - oder Menschen, welche im Niedriglohnbereich arbeiten. Es könnte deshalb zu einem Arbeitskräftemangel kommen. Dieser könnte unter Umständen damit ausgeglichen werden, dass mehr Leute aus den ehemaligen Kolonien und dem Commonwealth (vgl. Karte) Arbeitsbewilligungen erhalten, was aber wohl auch nicht im Sinn der Brexit-Befürworter wäre.

Viel wichtiger ist aber, dass mit der Personenfreizügigkeit viele eindeutige Vorteile der EU und speziell des Binnenmarkts für das VK wegfallen. Insbesondere die anderen drei Grundfreiheiten. Für das VK werden Dienstleistungen mit der EU viel aufwändiger, es entstehen in Zukunft Bankkosten und es gibt Warenkontrollen an den Grenzen. Mehr dazu weiter unten.



Unabhängigkeit vom Europäischen Gerichtshof

Einer der wichtigsten Erfolge für viele Befürworter des Brexit war die Tatsache, dass die EU darauf verzichtet hat, dass das VK in Zukunft in Teilbereichen unter die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshof fallen würde. Nicht "fremde" Richter sollten über Briten entscheiden können, sondern nur eigene. Mit dem Austritt aus dem Binnenmarkt ist nun der Europäische Gerichtshof in der Tat nicht mehr zuständig für das VK. Doch war das ein grosser Sieg?

aber…

Der Europäische Gerichtshof ist zuständig für die Gerichtsbarkeit innerhalb der EU, insbesondere auch für den Binnenmarkt. Verstösst ein Land gegen EU Recht, kann es vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden. Dies gilt für alle Staaten, die am Binnenmarkt teilnehmen und ist nicht verhandelbar. Die Schweiz erlebt dies zurzeit gerade mit dem Rahmenvertrag: dort ist festgelegt, dass für alle Bereiche, die den Binnenmarkt betreffen der Europäische Gerichtshof zuständig ist, für die Bereiche, die NICHT den Binnenmarkt betreffen aber ein Schiedsgericht - oder je nachdem sogar ein Schweizer Gericht.

Mit dem Austritt des VK aus der EU und dem EU-Binnenmarkt gibt es für das VK keinen Bereich mehr, der direkt den Binnenmarkt betrifft, weshalb auch der Europäische Gerichtshof nicht mehr zuständig ist. Zwischen EU und VK gibt es nun eine ganz andere Form von Verträgen, zuständig ist nun - wie bei Freihandelsabkommen üblich - ein Schiedsgericht. Zudem können z.B. Zölle als Sanktionen erhoben werden, wenn sich ein beteiligter Staat nicht an die Verträge hält. Das ist meines Wissens bei allen Handels- und Freihandelsverträgen so und deshalb eine Selbstverständlichkeit.


Eigene Regeln bestimmen - keine automatische Rechtsübernahme

Besonders wichtig für die Souveränität ist, dass ein Land eigene Regeln bestimmen kann und kein "ausländisches" Recht übernehmen muss. Mit dem Austritt aus der EU erhält das VK hier in der Tat mehr Souveränität, allerdings auch hier mit einem lauten "aber":

aber…

Das VK hat sich verpflichtet den Status Quo an Sozial- und Umweltstandards der EU zu übernehmen. Das heisst, es muss die aktuellen EU Regeln in diesen Bereichen 1:1 beibehalten (überbieten geht immer, unterbieten ist nicht erlaubt). Dies gilt grundsätzlich nicht für zukünftige Regeln: Passt die EU ihre Regeln an, muss das VK diese nicht mehr übernehmen, es gibt also keine automatische Rechtsübernahme. Auch dies wäre allerdings äusserst ungewöhnlich für einen Freihandelsvertrag - anders als wenn ein Staat Teil des Binnenmarkts ist: wer am Binnenmarkt teilnimmt, verpflichtet sich mit dieser Teilnahme die Regeln des Binnenmarkts zu übernehmen, das ist ja der Sinn des Binnenmarkts. Wer aber nicht mehr daran teilnimmt, der kann auch kaum dazu verpflichtet werden, künftige Regeln zu übernehmen. Auch hier handelt es sich also nur um einen Scheinsieg der Brexit Befürworter, respektive um eine Selbstverständlichkeit.

Gemäss der EU werden die Briten die Regeln faktisch aber doch übernehmen müssen - wenn die betreffenden Waren in die EU exportiert werden sollen. "Unfairer Wettbewerb" ist untersagt und kann mit Sanktionen bestraft werden. Das bedeutet letztlich, dass die Briten zwar tatsächlich ihre eigenen Regeln festlegen dürfen - allerdings nur, solange die von diesen Regeln betroffenen Waren nicht in die EU exportiert werden. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sonst die Briten zumindest theoretisch billige Arbeitsplätze schaffen (kein Mindestlohn, kaum Arbeitsplatzsicherheit etc.) oder Fabriken ohne jegliche Umweltmassnahmen betreiben könnten. Damit könnten sie Produkte günstiger herstellen als Staaten in der EU, wo in diesem Fall strengere Regeln gelten würden. Diesen "unfairen Wettbewerb" will die EU verhindern - wenn es um den Handel mit der EU geht. Geht die Ware nicht in die EU, kann das VK selbstverständlich seine eigenen Regeln festlegen, für Waren, die in die EU exportiert werden aber nicht. Oder es würde das Ende der Zollfreiheit bedeuten.

Die Wirtschaft ist heute aber auch sonst auf gemeinsame Regeln angewiesen. Meist lohnt es sich nicht jeweils ein anderes Produkt für verschiedene Märkte herzustellen. Sondern man hält sich an die jeweils stärksten Regeln und meist an die Regeln des grössten Abnehmers. Auch abgesehen davon müssen natürlich viele Regeln übernommen werden - so können Briten natürlich auch ein elektronisches Gerät mit britischem Stecker in die EU exportieren, es ist aber wohl sinnvoll, diesen an EU-Normen anzupassen und einen EU kompatiblen Stecker zumindest beizulegen.


Einstellen der Zahlungen an die EU


In der Kampagne für den Brexit vor der Abstimmung im Jahre 2016 war ein roter Bus besonders auffallend: auf ihm stand geschrieben:
"We send the EU £350 million a week
let's fund our NHS instead - vote leave".
Diese Aussage war wohl für nicht wenige Menschen entscheidend, um den Brexit zu unterstützen, denn wer will schon nicht 350 Millionen wöchentlich einsparen - und stattdessen damit den NHS, das britische Gesundheitssystem finanzieren? Mit dem Brexit sparen die Briten nun tatsächlich die Abgaben an die EU, die allerdings deutlich weniger als 350 Millionen Pfund betrugen. Doch geht diese Rechnung wirklich auf?

aber…

Es ist korrekt, dass sich die EU wesentlich aus Beiträgen der reichsten Staaten finanziert. Allerdings kriegen die EU Staaten dafür auch einiges zurück:
- der EU-Binnenmarkt führt zu deutlichen Einsparungen im Handel und damit zu einer höheren Wertschöpfung und höheren Steuereinnahmen.
- durch die Vereinheitlichung von Normen und gemeinsamen Regeln müssen viele Bereiche nicht mehr von jedem Einzelstaat organisiert werden. Die EU führt deshalb zu einem massiven Abbau von Bürokratie. Das merken zurzeit die Briten, die nach verschiedenen Zeitungsberichten rund 50'000 Zöllner suchen. Stimmt diese Zahl, dann wären das mehr als die EU überhaupt direkt selber Angestellte hat. Es ist aber klar, dass das VK nun die meisten Aufgaben selber organisieren muss, für welche zuvor die EU zuständig war und damit die Bürokratie und Verwaltung massiv ausbauen muss.
- die EU fördert Regionen, die wenig entwickelt sind mit Subventionen. Viele ärmere oder abgelegene Gebiete im VK profitierten direkt davon. Künftig werden diese Gelder fehlen oder vom VK übernommen werden.
- die EU zahlt vor allem Bauern viel Geld, davon profitierten in etwas geringerem Masse als in anderen Staaten auch viele Bauern im VK.
- das VK hat stark davon profitiert, dass es als englischsprachiger Brückenkopf Teil der EU war. Viele internationale Unternehmen siedelten sich deshalb im VK an. Dieser Standortvorteil fällt nun weg und es ist fraglich, ob dies kompensiert werden kann.

Es gibt sicherlich viele weitere Aspekte, wo der Brexit sich finanziell negativ auf das VK auswirken wird. All diese Kosten übersteigen die Zahlungen des VK an die EU bei weitem. Schon jetzt hat der Brexit Unmengen an Geld gekostet, obwohl er Stand 27. Dezember noch gar nicht wirklich Realität ist. Klar ist auf jeden Fall, dass der Brexit ein Verlustgeschäft ist, das höchstens langfristig rentieren wird. Ich sehe allerdings kaum Argumente, die für diese These sprechen.



Diverses


Brexit Befürworter sehen die EU in der Regel in ihren letzten Zügen. Sie sei überschuldet, werde von Flüchtlingen überrannt, müsse für die Schulden vor allem der Südstaaten geradestehen, es gebe immer weniger Einigkeit zwischen den EU-Staaten etc. Durch den Brexit würde sich das VK von all diesen Problemen befreien, gerade noch rechtzeitig bevor die EU kollabiere.

Es ist schwierig, solche Behauptungen zu beurteilen und es fehlt mir auch schlicht die Fachkompetenz dazu. Sollte die EU dereinst kollabieren (wofür ich kaum Anzeichen sehe), würden die unabhängigen Briten möglicherweise tatsächlich besser dastehen als als Teil der EU. Ein Untergang der EU würde allerdings für alle gravierende Konsequenzen haben. Wie schwer es ist, den Wirtschaftsraum wieder zu entflechten zeigt ja der Brexit. Was die Haftung und die Schulden anbelangt spricht für die EU ihre Grösse. Einen Bankrott Griechenlands könnte sich die EU finanziell wohl leisten, einen Kollaps Italiens wohl nicht. Was dann geschehen würde, steht in den Sternen und sollte es so weit kommen, hat der Brexit möglicherweise für das VK Vorteile gebracht. Möglicherweise aber auch nicht - wir wissen es schlicht nicht.

aber…

Das britische Pfund hat gegenüber dem Euro in den letzten Jahren deutlich an Wert verloren. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass Anleger mehr Vertrauen in den Euro haben als in das Pfund. Auch wenn man die Staatsschulden betrachtet, stehen die Briten zurzeit nicht besonders gut da: sie liegen mit 86 Prozent des BIPs leicht über dem Durchschnitt der EU Staaten (80.5%). Betrachtet man zudem die notwendigen Zusatzausgaben und die gebremste wirtschaftliche Entwicklung wegen des Brexit, lässt sich höchstens sagen: die Sachlage ist alles andere als klar.



Zwischenfazit


In einer globalisierten Welt ist Souveränität immer eingeschränkt. Sobald man Handel treibt muss man sich an zwischenstaatliche Verträge halten. Als Teil der EU konnte das VK die Regeln der EU mitbestimmen - und hat hier oft auch grossen Einfluss genommen. Als Einzelstaat wird es sich nun wohl öfter den Regeln anderer Grossmächte oder Handelsverbünde biegen müssen und damit unter Umständen sogar an Souveränität einbüssen. Für das VK spricht, dass es aktuell die 5. oder 6. grösste Wirtschaft der Welt ist - allerdings vermutlich bereits überholt von Indien und möglicherweise bald Frankreich (vgl. hier).

Zudem war das VK auch innerhalb der EU keineswegs ohne Souveränität. Die EU kann nur dort Einfluss nehmen, wo sämtliche beteiligte Staaten ihr die Kompetenz (letztlich die Souveränität) abgeben. Das VK hat also wie sämtliche EU-Staaten der EU aktiv Teile seiner Souveränität abgegeben, um von der Grösse der EU zu profitieren. In allen Bereichen, wo die Souveränität nicht abgegeben wurde (z.B. Landesverteidigung) war das VK jederzeit absolut souverän.

Abgesehen von zusätzlich gewonnener Souveränität scheint der Brexit dem VK wenig gebracht zu haben. Insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht gibt es viele Nachteile, die auf der folgenden Seite betrachtet werden sollen.


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Die Karte zum Commonwealth stammt von: Rob984 - Derived from File:BlankMap-World-Microstates.svg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50344792



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