All dies geschieht so oder so. Und noch vieles mehr. So wäre ohne nun geschlossenes Abkommen zum Beispiel der Flugverkehr stark eingeschränkt worden, hätte es Probleme gegeben bei der Zulassung von Lastwagen, die die Grenze queren etc. etc. Mit dem Abkommen konnten aber wichtige negative Auswirkungen des Brexits abgefedert werden:
Waren
Der wohl wichtigste Punkt betrifft den Handel mit Waren. Mit dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt wird die EU ihre Grenze gut schützen. Es darf nichts in die EU gelangen, was nicht den im EU-Binnenmarkt vorherrschenden Regeln entspricht. Auf Firmen, deren Waren die Grenze überqueren, wird in Zukunft ein
grosser Papierkrieg zukommen, es wird deutlich komplizierter als vor dem Brexit. Es ist kein Zufall, dass der Vertrag über 1200 Seiten umfasst.
Immerhin wurde im hier besprochenen Vertrag die
Zollfreiheit vereinbart. Auf Waren, welche die Grenze überqueren, wird also auch in Zukunft kein Zoll bezahlt werden müssen. Die Zollfreiheit ist vor allem ein Vorteil für die EU, weil sie mehr Waren ins VK exportiert als jenes in die EU.
Die Zollfreiheit gilt allerdings nur für Produkte, deren Bestandteile zu ca. 50 Prozent und mehr im VK oder der EU hergestellt wurden (= "
rules of origin"). Wenn also bei einem Auto 70 Prozent der Teile direkt aus Asien stammen, muss das Auto verzollt werden, auch wenn es im VK zusammengebaut wird. Dies zu dokumentieren wird einen riesigen Aufwand bedeuten vor allem für britische Firmen.
Mit dem Austritt aus dem Binnenmarkt gelten zudem neue Bestimmungen, was in die EU importiert werden darf. Besonders
Nahrungsmittel und lebende Tiere werden nun viel strenger gehandhabt. So ist es, wenn nicht sogar verboten, in Zukunft zumindest fraglich, ob Lastwagenchauffeure noch ein Schinken-Käse Sandwich als Verpflegung in die EU mitbringen dürfen.
Dienstleistungen
Während für die EU der Warenaustausch zentral ist, stehen für das VK Dienstleistungen im Fokus. Das VK verdient sein Geld wesentlich mit dem Export von Dienstleistungen, insbesondere auch in die EU. Für Banken, Versicherungen, IT-Anbieter, Architekten etc. wird es nun aber massiv komplizierter, ihre Dienstleistungen in der EU anzubieten. Denn mit dem Austritt aus der EU
endet auch
die Dienstleistungsfreiheit - und Dienstleistungen werden in diesem Vertrag schlicht nicht behandelt. Zumindest theoretisch fällt das VK erst einmal auf das Niveau eines Drittstaates wie Nordkorea zurück - was wohl ein wenig übertrieben ist, da einige Punkte bereits geregelt wurden. Grundsätzlich ist der Vergleich aber nicht völlig falsch.
Das VK erhofft sich womöglich vor allem im Bankenwesen durch den Brexit Vorteile zu erlangen, indem es z.B. mit
tiefen Steuern, höheren Löhnen oder
liberaleren Gesetzen und weniger Regeln Firmen anzieht. Das VK wird hier über mehr Flexibilität verfügen als zuvor, dafür fällt für viele Firmen ein wichtiges Argument weg, im VK zu investieren: die Teilnahme am Binnenmarkt.
Die EU stellt dem VK ein Abkommen über Dienstleistungen in Aussicht und es wird bereits darüber verhandelt. Der Export von Dienstleistungen wird für das VK aber auf jeden Fall aufwändiger und viele UK-Firmen haben bereits Tochterfirmen in der EU gegründet, um Dienstleistungen für EU Staaten neu aus einem Staat der EU heraus anzubieten.
Personenfreizügigkeit
Mit dem Ende der Personenfreizügigkeit wird es für britische Unternehmen auch deutlich aufwändiger, eigene Angestellte zur Arbeit in die EU zu entsenden (das müsste theoretisch auch für ein einfaches Meeting gelten). Dazu wird in Zukunft in der Regel
Arbeits-Visum benötigt. Briten dürfen sich künftig i
nnert 180 Tagen maximal 90 Tage als Touristen ohne Visum in der EU aufhalten. Dies ist vor allem für britische Rentner einschneidend, welche sich z.B. in Spanien niedergelassen haben. Sie müssen nach 90 Tagen jeweils wieder für 90 Tage ins VK zurück oder benötigen in Zukunft ein Visum.
Mit dem Brexit wird es für Briten auch schwieriger ins britische Gibraltar (im Süden von Spanien) zu reisen. Dieses gehört neu zum Schengenraum, weshalb es von Spaniern ohne Ausweis besucht werden kann, Briten hingegen werden in Zukunft am (britischen) Flughafen Gibraltar von spanischen Grenzbeamten kontrolliert - auf dem Staatsgebiet des britischen Gibraltar (Nachtrag vom 31. Dezember).
Dass Personenfreizügigkeit auch Vorteile hat, merken zurzeit britische Musiker. Eine Europatournee wird für sie kaum noch machbar, weil sie nun Dokumente für jedes einzelne Land der EU benötigen, das sie besuchen - und es müssen, wenn ich das richtig verstanden habe, sämtliche Instrumente und sogar Kabel registriert werden, um Schmuggel zu verhindern. Dies hat allerdings nichts mit Musik zu tun, sondern gilt natürlich für alle Branchen (Nachtrag vom 3. Januar).
Unfairer Wettbewerb
Um unfairen Wettbewerb zu verhindern war es der EU wichtig, dass sich das VK auch in Zukunft an EU weite Sozial- und Umweltnormen hält. Das heisst, dass das VK sich nicht mit Dumpinglöhnen oder einer Aufweichung von Umweltstandards, respektive Subventionen für Unternehmen einen Standortvorteil verschaffen darf. Hier wurde ein Kompromiss geschlossen. Das VK darf die aktuell gültigen Normen der EU nicht unterbieten, muss aber künftige Normen nicht übernehmen. Es gibt allerdings eine "Hintertür" für die EU: sollte die EU ihre Normen erhöhen und das VK nicht mitziehen, kann die EU z.B. den Export von Waren mit Ziel EU, die nicht den EU Regeln entsprechen mit Zöllen belegen.
Für Exporte in die EU wird sich das VK also auch an künftige EU Regeln halten müssen, nicht aber für Exporte in den Rest der Welt.
Fische
Auch wenn die Fischerei auf beiden Seiten weit weniger als 1 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, kam es hier zum ganz grossen Streit. Denn bislang haben viele Fischer aus der EU in britischen Gewässern gefischt, was das VK nun beenden wollte (die Hintergründe sind kompliziert). Neu sieht die Regelung so aus, dass die EU-Fischerei in britischen Gewässern noch für 5.5 Jahre rechtlich abgesichert ist, allerdings sollte bis dann der Umfang nur noch 75 Prozent des heutigen umfassen. In 6 Jahren soll dann jeweils jährlich neu bestimmt werden wie viel Fisch die EU in britischen Gewässern fangen darf. Das Problem für die britischen Fischer wird aber darin bestehen, dass zumindest heute noch der allergrösste Teil der von Briten gefangenen Fische in die EU weiterverkauft wird. Die EU hat damit ein grosses Druckmittel - denn sie könnte Zoll für diese Fische verlangen.
Diverses
Mit dem endgültigen Ausscheiden aus der EU verliert das VK weitere Privilegien wie z.B.
Zugriff auf verschiedene speziell für die Verbrechensbekämpfung wichtige
Datenbanken. Zukünftig werden auch britische
Berufsqualifikationen nicht mehr automatisch in der EU anerkannt werden, wird das VK nicht mehr am Studentenaustauschprogramm
Erasmus teilnehmen etc. etc.
Für Streitfälle wird in Zukunft ein Schiedsgericht zuständig sein, das Abkommen kann mit 12 monatiger Frist gekündigt werden - oder wenn eine Seite grob gegen das Abkommen verstösst.
Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Veränderungen findet sich unter diesem Link auf englisch (
pdf).